Dienstag, 14. Dezember 2010

Weihnachtsgeschichten aus der Vergangenheit Schluss


Allerdings wurde ich weiterer, triefgreifender Gedankengänge enthoben, als ich vom Treppenaufgang lautes Schimpfen hörte. Wie ich es schaffte mich nicht nur entsprechend ruhig zu verhalten und dennoch den Grund der Aufregung mitbekam, weis ich heute allerdings nicht mehr. Jedenfalls waren mindestens zwei weibliche Stimmen damit beschäftigt, sich über meinen Auftritt im Hausflur ziemlich lautstark zu unterhalten. Eine von den beiden Damen schien die ältere Frau aus der oberen Etage zu sein, bei der ich ausversehen den Weihnachtsmann spielen wollte. Zu meinem Glück,  entdeckten sie weder mich, noch meine im Kellerabsatz hinterlassenen Spuren des körperlichen Unwohlseins. Es dauerte eine Weile, bis beide sich ziemlich lautstark über die Moral der heutigen Jugend ausgetauscht hatten und sich entsprechend wie Schnecken in ihre Wohnungen zurückzogen. 
In der Zwischenzeit konnte ich die letzten Geschenkpäckchen nicht nur in den Sack verstauen, sondern mich auch wieder einigermassen in einen glaubwürdigen Zustand herrichten. Den Parfümduft zog ich allerdings wie eine Duftwolke hinter mir her. Einerseits übertünchte jenes Odeur den momentanen strengen Geruchszustand, andererseits war der Würgreiz ziemlich an einer unerträglichen Schwelle angelangt. Ich machte mich also langsam aber zielbewusst auf, um den letzten Akt der Weihnachtsmannverzweiflung hinter  mich zu bringen.

Behutsam, aber ohne weitere entsprechende Behinderungen, erreichte ich den Eingangsbereich zum Austragungsort der Bescherung. Mir war ganz komisch zumute. Und das in doppelter Hinsicht. Es war ja nicht nur schon weit nach 20 Uhr, ich wusste auch nicht, ob mein letzter Auftritt schon seine Runde bis hier her gemacht hatte. Also klingelte ich ganz einfach und lies es auf mich zukommen. Schlimmer konnte es ja nicht mehr werden, war noch mein Gedanke, als sich recht schwungvoll die Wohnungstür öffnete.

„Haa. Da is or ja.“ Ein freudenstrahlender Kumpel stand vor mir und hielt in der Hand eine Flasche Bier, bei deren Anblick mich sofort wieder ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend überfiel.
Er zog mich einfach rein und knallte die Tür ziemlich laut hinter sich zu.

„Na komm erst ma rein. Dir wirds sicherlich och sehr kalt sein. Und wie ich disch kenne, haste och sicherlich Durscht.“ 

Dabei kicherte er, konnte allerdings meine krampfhaften Schluckbewegungen unter der Weihnachtsmannmaske ja nicht sehen. Und schon standen wir beide in einem wie von einer Flutlichtanlage ausgestrahltem Wohnzimmer. Es waren bald mehr Leute anwesend, als ursprünglich Platz zur Verfügung stand. Alle redeten irgendwie aufeinander ein und keiner hörte dem anderen zu. Jednfalls ging es fast wie in einem Bienenstock hier zu. Von den beiden Kindern war nichts zu sehen, was mich allerdings sehr wunderte. Schliesslich sollte, oder wollte ich ja noch die restlichen Geschenke verteilen. Die Dame des Hauses sass ganz im hinterem Eck des Zimmers und unterhielt sich angeregt mit einer Frau, die mit dem Rücken zu mir sass. So konnte ich sie nicht erkennen.  Ein anderes junges Paar, welches mir auf einer früheren Geburtstagsfeier als Kollegen von H. vorgestellt wurden sassen am Tisch mit einem anderm Paar, welche ich zumindest vom Sehen her kannte. Allerdings war mein Denkvermögen noch nicht in der Lage sie entsprechend einzuordnen. 
Die Küchentür war nur leicht angelehnt und so sah ich zwei mir unbekannte Leutchen, welche aber mehr mit sich beschäftigt waren, als dass sie etwas andere mitbekammen. Die anderen Personen waren entweder Kollegen von C. oder H. Jedenfalls kannte ich sie nicht. Und so stand ich nun plötzlich vor einer Meute Menschen und sollte den Weihnachtsmann spielen. Das gefiel mir garnicht und ich kam mir ein wenig verarscht vor. Ausserdem fehlten ja die beiden Hauptpersonen, um die es hier eigentlich gehen sollte. Also want ich mich nun an meinen Kumpel, um zu erfahren, was hier eigentlich los sei.

„Wo sind die Kinder?“
„Mach dir keene Sorschen. Die schlafen schon seid nor Stunde. Willsde och n Bier?“ 
Dabei reichte er mir ohne meine Antwort abzuwarten eine halbvolle Flasche entgegen.

„Warde ma. Isch sach dor C. das de nun och schon da bisd.“ 

Er lies mich stehen und schlängelte sich zum anderen Zimmerecke durch. Ich stand in voller Montur am Eingang, in der einen den Geschenkesack immer noch festhaltend, in der anderen die halbvolle Pulle Bier. Keiner schien mich zu bemerken, oder zu beachten.  Also stellte ich erst einmal den Sack ab und wollte mir ein freies Plätzchen zum Ausruhen sichern. Aber in dem Augenblick kam auch schon H mit seiner Frau auf mich zu.

„Wesste wie späts’s s is?“, geift mich C. gleich an. „Du brauchsd glob isch ,ne neue Uhr. Um achde war ausgemacht gewesen und nisch nach 12. Dein Glück das de n Alibi hasd.“ 

Wurde sie nun etwas freundlicher und zeigte dabei mit dem Daumen  hinter in die Ecke zu der Frau, mit der sie sich  gerade angeregt unterhalten hatte. Mir lief es siedent heiss über den Rücken. Also wussten sie schon von meiner Hausfluraktion? Aber das konnte nicht sein. Dazu war sie zu freundlich aufgelegt.

„Wir ham die beden Kiner ins Beet geschickt. Der Weihnachtsmann hat ne Panne und kommt morschen früh glei zu euch, ham wor gesacht. S war schon zu spät. Wusste doch keener, was da unden los sein würde.“ Dabei drehte sie sich ganz zu der Frau um.
„Da will sich och jemand bei dir bedangen. Komm.“

Meinen Einwand, dass ich mich erst einmal etwas erfrischen müsste und so, ignorierte sie einfach.

„Das gannste später immer noch machen. Komm jetz einfach ma.“

Jetzt erkannte ich sie. Es war die junge Frau mit dem kleinem schlafenden Mädchen und dem besoffenen Ex Mann im Schlafzimmer. Ich hatte keine Ahnung wieso sie hier war und nicht bei ihrer Tochter und wieso sie mir hätte dankbar sein sollen.
H. grinste nur und schob mich seiner Frau hinterher. Und so musste ich in meiner ganzen warmen Montur, mich ebenfalls durchs Zimmer schlängeln. Jetzt bekamen mich natürlich die anderen Gäste auch mit und ich hatte den entsprechenden „Spott“ auf meiner Seite. Mir war aber im Augenblick egal was hier geläster wurde, weil ich eh nur die Hälfte verstand. Ausserdem bemerkte keiner so richtig meinen tatsächlichen Zustand, weil sie alle selber auch nicht mehr ganz ohne waren. Also riss ich erst einmal die olle Maske vom Gesicht, schmiss sie irgend wo hinter mich und konnte wenigstens erst einmal richtig wieder Luft holen.
C. sass schon wieder bei der Frau, als ich mich auch zu den beiden gesellte. Die Frau stellte sich mir nun als K. vor und musterte mich dabei ausgiebig. Schliesslich war ich ja nun ohne Maskerade und „ungeschminkt“. Ich verstand weder die Welt, noch den entsprechenden Sinneswandel in so kurzer Zeit. Vor ein paar Stunden noch schier hoffnungslos und jetzt fast wie ausgewechselt. Frauen halt dachte ich. Wer soll sie auch verstehen?

„Ich danke dir“ und dabei lächelte sie sogar.

„Für was?“ Ich wusste es ja selber nicht.

„Das du noch einmal gekommen bist und dir Zeit für mich und Bienchen genommen hast. Das du mir zugehört hast. Macht ja auch nicht jeder Weihnachtsmann.“ Dabei zwinkerte sie auch noch. Mir wurde es noch wärmer.

„Aber dein Ex, dein Kind und Stefan?“ Mehr brachte ich garnicht raus, weil so schnell konnte ich im Augenblick weder Denken, noch umschalten.

„Mein Ex schläft unten immer noch seinen Rausch aus. Sabine ist hier untergekommen. Sie wird erst einmal bis morgen bei C. und H. bleiben. Mich holt nachher Stefan ab. Und morgen werden wir das mit meinem Ex in Ruhe klären. Wenn er wieder nüchtern ist. Sollte er nicht endlich verschwinden und uns in Zukunft in Ruhe lassen, bekommt er Ärger auf Arbeit. C. hat mir nen guten Rat gegeben. Ich denke das wird schon helfen, wenn die auf Arbeit erfahren, wie er sich seinem Kind und so immer verhält. Bei ihm ist es ja nur der Alkohohl immer gewesen. Es wäre sonst wahrscheinlich nie soweit gekommen. Ist aber nun egal. Ich glaube es wird schon wieder alles werden.“

Sie hatte es noch nicht einmal richtig ausgesprochen, da sprang sie auf und rannte in Richtung Wohnzimmertür. Da stand H. mit einem anderen Mann, welchen ich nicht kannte.

„Das ist Stefan. Entschuldige mich bitte ma kurz“, sagte C und ging ebenfalls zu dem Mann in der Tür. 
Schön. Endlich hatte ich vielleicht etwas Ruhe, konnte mich zurückziehen, zumindest frisch machen und endlich umziehen. Die Klamotten zwickten nun langsam und rochen auch ein wenig streng.


Der nun folgende abkürzende Teil, verlief eigentlich in ganz normalen und typisch sozialistisch planbaren Feierlichkeiten.
K. wurde von ihrem Freund abgeholt, ein Teil der Gäste hatte es auch auf einmal ziemlich eilig und wir feierten noch Weihnachten im kleinem Kreis bis das erste Tageslicht oder so ins Zimmer wollte.
Nachdem wir alle einigermassen wieder normal und auch relativ mit Kaffe uns aklematisiert hatten, „musste“ ich noch einmal in die nicht mehr ganz frische Weihnachtsmannmontur steigen, um am späten Vormittag des ersten Weihnachtsfeiertages, auch den beiden Kindern noch ihre Weihnachtsüberraschungsgeschenke zu überreichen.

Originalton von dem schon etwas grösserem Mädchen des Geschwisterpaares:“ Du Weihnachtsmann…  du hast ja fast die selben Schuhe wie Onkel Rolf an…“

Das von mir im Treppenaufgang verursachte „Massaker“ wurde nie richtig aufgeklärt, da am Ende noch ein paar andere potentielle „Teilhaber“ in Frage kamen und ich als Weihnachtsmann erst einmal aus der kritischen Schusslinie mich entfernen konnte.

Obwohl ich noch mindestens vier Mal den Weihnachtsmann spielen musste, war dies allerdings das schlimmste und unvergesslichste Erlebnis in der Hinsicht. Später kam natürlich die Erfahrungen und gewisse Routine hinzu, so das sich entsprechende Auftritte wie ein Besuch in einem Pflegeheim anfühlten.


Ich wünsche noch allen Leserinnen und Lesern dieser Seite, eine wunderschöne Adventswwoche.


robe

2 Kommentare:

  1. Och schade schon zu Ende. Es hat so viel Spass gemacht das zu lesen das ich finde Du könntest noch ne schöne Geschichte aus Deinem Hinterstübchen kramen ;-)
    Ne schöne Restwoche wünsche ich Dir ;-)))

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  2. Liebe Bianca.

    Erst einmal Dankeschön für die Geduld beim Lesen hier. ;-)
    natürlich gibt es noch mehr Geschichten. Aber leider kann ich nicht alle hier einstellen. Werde mich auch hüten davor. ;-) WIll ja schliesslich die erinnerungen einmal komplett fertig bekommen und vielleicht nen Verlag damit erschlagen können. ;-)

    Den Rest wünsche ich dir auch. Egal ob nun mit Schoki, oder ohne. :)


    LG robe

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